Father-Brown

 

Zur Frage der Bibel-Übersetzungen

 

Vielen wird klar sein, dass man die Texte der Bibel nicht nur aus dem Griechischen, Aramäischen, Lateinischen der Vergangenheit ins moderne Deutsch, Russisch, Englisch usw. übertragen muss, damit der heutige Mensch sie selbst lesen kann. Dazu gehört aber neben der Kenntnis jener Sprachen viel mehr noch die Kenntnis ihrer begrifflichen Eigenheiten. Fehlübersetzungen haben schon die unglaublichsten Konsequenzen gehabt.

Vom 3. bis 6. Jahrhundert haben in jener wirresten Zeit des Übergangs von der Antike zum Mittelalter irische Mönche auf der relativ friedlichen Insel antike Texte abgeschrieben und übertragen. Nun gibt es Matthäus 19, 23 das Wort Jesu: "Leichter kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich." Ganze Generationen von Archäologen haben sich bemüht, ein solches Nadelöhr als die kleine Pforte neben dem großen Stadttor zu finden, und ungezählte Priester und Prediger haben aus diesem Bildnis gewaltige Predigten gegen den Reichtum und die Hartherzigkeit der Reichen gesogen. Hat aber Jesus das wirklich gesagt?

Er hat es wohl nicht. Denn im Altgriechischen gibt es neben dem Wort kamelos = Kamel auch das Wort kamilos = Schiffstau, Ankerseil, Segeltau. Aber die irischen Mönche waren mit der altgriechischen Seemannssprache verständlicherweise nicht recht vertraut. Und machten so aus dem kamilos, dem Segeltau, das nicht durch ein Nadelöhr geht, ein kamelos, ein Kamel.

Noch weiß man keineswegs, wie viele solche "Kamele" sich im Alten wie im Neuen Testament immer noch verstecken, wohl aber ist längst überdeutlich, wie sehr alle Bibeltextübersetzungen unter solchen Fehlern leiden. Die dann natürlich auch die auf solchen Textstellen basierenden Predigten und Kirchengesetze in dem Sinn defekt machen, dass sie sich nicht auf eine sachlich wie inhaltlich richtige Übersetzung der Textstelle beziehen. Was nichts gegen den Geist und Geistreichtum der Prediger sagen soll, wohl aber alles gegen ihren Anspruch, "die einzige und reine Wahrheit", wie sie die Bibel vertrete, zu besitzen und zu verkünden.

Insgesamt: Das alles gilt wohl auch für Chesterton, an dessen Kirchengläubigkeit ich weder zweifeln noch gar Kritik üben möchte. Wohl aber energisch darauf hinweisen will, welche Schwierigkeiten auch Chesterton lediglich durch Glauben im wesentlichen überwinden musste. Und welche Forderungen an die katholische Kirche zu erheben sind, sobald es um die Frage der "wirklich wahren Bibel" geht.

 

Autor: Hanswilhelm Haefs, Foto: Claus Vester, cc-live

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