Father-Brown

 

Die historische Entwicklung

 

Der Zölibat (von lat. "caelebs" - unvermählt, ehelos) bezeichnet die kirchliche Vorschrift, dass für die Erteilung bestimmter Weihen die Ehelosigkeit Voraussetzung sei; in schwächerer Form ist mit dieser Vorschrift auch die Forderung nach fleischlicher Enthaltsamkeit (i. e. Keuschheit) gekoppelt; dementsprechend bestimmen die Canones 124-144 des CIC (Corpus Iuris Canonici, die bis 1917 in der katholischen Kirche maßgebliche Gesetzessammlung des Kirchenrechts) u. a.: Es dürfen Priester nur mit eng verwandten oder mit älteren und unverdächtigen Frauen zusammenleben (das Alter, aetas provectior bzw. "kanonisches Alter", wird mit 30-40 Jahren festgesetzt; über die Unverdächtigkeit befindet der Ortsordinarius); Verletzungen der Keuschheit gelten als Sakrileg und sind strafbar (nach can. 2 359 und 2 388), die versuchte Eheschließung ist ungültig und zieht automatisch die Exkommunikation (falls der Partner von den Gegebenheiten wusste, auch seine) nach sich, die Absolution ist dem Hl. Stuhl vorbehalten; sonach ist die Keuschheit sekundären Gewichts neben dem Hauptinhalt der Ehelosigkeit, die den Zölibat charakterisiert.

Diese Zweiteilung ist aus der komplizierten Entstehungsgeschichte des Zölibatsbegriffs verständlich, in den zwei unterschiedliche Gedankenströme münden. Fleischliche Enthaltsamkeit als kultischer Wert scheint in schamanistischen Vorstellungen zu wurzeln: Psychische und psychologische Isolierung des Individuums steigern die Trancebereitschaft und erleichtern damit den Kontakt zum Numinosen, wie in Fruchtbarkeitsriten der mit "Große Mutter" angedeuteten Religionsformen (man denke an die Ursprünge des Hierodulentums): Hier ist zumindest unter bestimmten Umständen die Kopulation nur nach feierlicher Vorbereitung auf den Akt, der die Befruchtung durch das Numinosum darstellt bzw. symbolisiert (letzte Spur dieser Vorstellung war das ius primae noctis des Grundherrn), zulässig. In beiden Vorstellungswelten engte sich die Verpflichtung zur fleischlichen Enthaltsamkeit mehr und mehr auf Kultdiener ein, weitete sich aber gleichzeitig auch von einer Enthaltsamkeit in einem bestimmten Zeitraum vor einer kultischen Handlung zu einer mit dem Amt verbundenen Keuschheit aus (Asketentum, Anachoreten, vorchristliche Mönchsideale).

Ob in direkter Weiterentwicklung solcher Frühvorstellungen oder aus anderen Anlässen frei philosophierend entwickelt, kam es im aristotelisch-platonischen Denken zu der Lehre von der Trennung des Geistigen vom Körperlichen, was im nächsten Schritt zur Formel von der Reinheit des Geistes, der Unreinheit des Körpers und damit zu einer Verurteilung des Fleischlichen führte. Aus den Evangelien ist zwar eine Empfehlung der Ehelosigkeit abzuleiten, kaum aber eine verbindliche Vorschrift: Jesus sprach sich für die Ehelosigkeit zugunsten des Himmelreiches aus, stellte aber zugleich fest, nicht alle könnten dieses Wort fassen, sondern nur der, dem es gegeben sei; aus einem Paulusbrief ist zu schließen, dass zumindest Petrus verheiratet war, wie auch im Evangelium zu lesen ist, dass Christus bei seinem Besuch in Petri Haus dessen am Fieber darniederliegende Schwiegermutter heilte; in einem weiteren Paulusbrief heißt es, der Unverheiratete sorge sich um das, was des Herrn sei und wie er dem Herrn gefalle - der Verheiratete um das, was der Welt sei und wie er der Frau gefalle und sei geteilt: Aber hierzu gebe es kein Gebot des Herrn; Paulus empfahl die Ehelosigkeit also als freiwillige Aufgabe, und in anderem Zusammenhang bezeichnete er die Ehe als dem wilden Zusammenleben vorzuziehen.

Die Frage des Zölibats spielte in den ersten Jahrhunderten der Kirche keine Rolle. Dass sich das langsam änderte, scheint mit 4 Tatsachen zusammenzuhängen:

  1. Die Ernährung von Geistlichen mit Familie wurde zu einem wirtschaftlichen Problem;
  2. Mit zunehmender Weltfeindlichkeit im Glauben an das nahe bevorstehende Weltende nahmen im Mittelalter (u. a. auch in der Abwehr extremer anderer Richtungen, wie z. B. des Bogumilentums, das in einigen Varianten als Voraussetzung für die göttliche Gnaden-Erlösung die möglichst tiefe Verstrickung des Menschen in Sünde forderte) der Körperlichkeit und insbesondere der Sexualität feindliche Lehren überhand;
  3. Mit wachsender Institutionalisierung der Kirche als irdischer Macht nahm das Interesse der Kirchenoberen an Möglichkeiten der möglichst bedingungslosen Obedienz und Dienstbereitschaft der Priesterschaft zu;
  4. Insbesondere die Ehelosigkeit vermochte dafür zu sorgen, dass der Kirchenbesitz sich mehrte, nicht aber durch Erbabgaben an Kinder von kirchlichen Amtswaltern abnahm (so hielt z. B. die Kirche zu Beginn der Hussitenzeit in Böhmen ein Drittel des gesamten Grundes in Besitz).

Gerade dieser letzte Punkt scheint Ausgang für die gesamte innerkirchliche Entwicklung formeller Art gewesen zu sein: Die Synode von Elvira (heute Granada), beschickt mit 19 Bischöfen und 24 Priestern, fasste 306 für Teile Spaniens den Beschluss: Diakone, Priester und Bischöfe hätten sich zukünftig ihrer Frauen zu enthalten, um keine Kinder mehr zu zeugen; das Konzil von Nicaea lehnte 325 einen Antrag ab, diese sogenannte Elviranische Ehe für die Gesamtkirche verbindlich zu machen; die Synode von Konstantinopel beschloss 692 die bis heute für die Orthodoxie verbindliche Regelung: Eine Ehe, die jemand vor der Priesterweihe schloss, bleibt mit allen Rechten und Pflichten bestehen (sie war also kein Hindernis für den Empfang der Priesterweihen); nach der Weihung darf ein Priester nicht mehr heiraten; Bischof kann nur werden, wer ehelos ist oder seine Frau ins Kloster schickt. Aus Beschlüssen zahlreicher Synoden - Sevilla 592: Söhne von Priestern haben als unehelich zu gelten, Toledo 633 und 653: Konkubinen von Priestern gelten als Sklavinnen, Concilium Germanicum 742: unkeusche Kleriker sind einzukerkern - geht hervor, dass der Zustand der Priesterehe wie des priesterlichen Konkubinats weit verbreitet blieb.

Die Entwicklung nahm, offensichtlich weil zu unterschiedliche Interessen, Vorurteile und Emotionskomplexe sich entwickelt hatten, je länger je schärfere Formen an: So bezeichnete Benedikt VIII. 1022 verheiratete Priester als Springhengste und Schweine des Epikur; sprach Petrus Kardinal Damian (1007-1072, 1032 zum Doctor Ecclesiae promoviert) Priesterfrauen wie folgt an:

Ihr Schätzchen der Kleriker, ihr Lockspeise des Satans, ihr Auswurf des Paradieses, ihr Gift der Geister, Schwert der Seelen, Wolfsmilch für die Trinkenden, Gift für die Essenden, Quelle der Sünde, Anlass des Verderbens. Euch rede ich an, ihr Lusthäuser des alten Feindes, ihr Wiedehopfe, Eulen, Nachtkäuze, Wölfinnen, Blutegel, die ohne Unterlass nach mehreren gelüstet. Kommt also und hört mich, ihr Metzen, Buhlerinnen, Lustdirnen, ihr Mistpfützen fetter Schweine, ihr Ruhepolster unreiner Geister, ihr Nymphen, Sirenen, Hexen, Dianen und was es sonst für Scheusalsnamen geben mag, die man euch beilegen möchte. Ihr seid Speise der Satane, zur Flamme des ewigen Todes bestimmt.

Papst Gregor VII. (1073-1085) versuchte, die Priesterehe durch drakonische Strafen abzuschaffen: Als Erzbischof Jehan von Rouen den Beschluss seinen Klerikern verkündete, vertrieb man ihn mit Steinwürfen aus der Kathedrale; als Erzbischof Sigfrid den Beschluss in Erfurt bekannt machte, hielten die Geistlichen eine Konferenz ab, ob sie ihn töten und dann zu ihren Familien zurückkehren oder auf die Tötung verzichten sollten: Sie beschlossen mit Mehrheit, von der Tötung Abstand zu nehmen.

Erst das II. Lateranum erklärte im April 1139 die Ehen aller Priester für die Zukunft verboten, die bestehenden für ungültig; dass die Mehrheit der Kleriker in der Ehefrage angesichts der Möglichkeiten materieller Strafen nachzugeben bereit war, nicht aber in der Frage der Keuschheit, veranlasste Innozenz III. 1200 in einem Sendschreiben über einen Bischof und dessen Frau zu schreiben: Seine Kuh habe am Tag vor der Bischofsweihe geworfen, aber auch als Bischof habe er noch auf ihr geackert; demonstrierte Gregor Montelongo, der bei seiner Erhebung in den Stand des Patriarchen von Aquileia 1251 in sein Wappen den Wahlspruch aufnahm: "Si non caste tamen caute" (wenn nicht keusch, so doch vorsichtig). Von Papst Alexander VI. (1492-1503) sind 5 Kinder bekannt, von etwa 30 Päpsten zumindest Frauenaffären (man denke auch an die literarischen Erzeugnisse etwa Boccaccios). Luther nahm (verheiratet mit der vormaligen Nonne Katharina von [Wendisch-]Bora) zur Zölibatsfrage wie folgt Stellung:

Dass sie die Ehe verboten und den göttlichen Stand der Priester mit ewiger Keuschheit beschwert haben, dazu haben sie weder Fug noch Recht gehabt, sondern haben gehandelt als die endchristischen, tyrannischen, verzweifelten Buben, und damit Ursache gegeben allerlei erschrecklicher, gräulicher, unzähliger Sünde der Unkeuschheit, darin sie denn noch stecken.

Erzbischof Albrecht von Mainz antwortete 1540 auf Vorhaltungen des Nuntius:

Ich weiß, dass all meine Priester Konkubinarier sind. Doch was ist dagegen zu tun? Wenn ich ihre Konkubinen verbiete, verlangen sie entweder Frauen oder werden Lutheraner.

Erst die Anathema-Formel des Tridentinums (1545-1563) setzte weitgehend die Abschaffung der Priesterehen und der Konkubinate durch: Es verbot jede weitere Diskussion der Frage und verfügte:

Wenn jemand sagt, dass die Kleriker ... eine Ehe eingehen können und die eingegangene gültig sei, trotz dem Verbot des Kirchengesetzes, ... so sei er verflucht.

(Es ist aber zu bedenken, dass es sich um Fragen im Zusammenhang mit der Verteidigung der römischen Kirche u. a. gegen die protestantischen Bewegungen aller Art im Rahmen auch politischer Auseinandersetzungen, wie z. B. mit dem Reich und der durch Heinrich VIII. einerseits aus politischen Gründen, andererseits wegen der Verweigerung einer neuerlichen Eheauflösung geschaffenen anglikanischen Kirche, handelte). Dass in der Folge das Priesterkonkubinat verschwunden sei, ist nicht zutreffend: Allerdings lassen sich aus begreiflichen Gründen Zahlen nicht mehr auch nur annähernd schätzen (heute ist hingegen von zahlreichen Konkubinaten vor allem in Lateinamerika eindeutig zu berichten); Priesterehen hingegen gab es in der lateinischen Kirche nicht mehr.

Insbesondere in der Aufklärungszeit kam es auch außerhalb der Kirche - innerhalb bezeichneten Theologen fast aller Provenienzen den Zölibat als überholt - zu lebhafter Beschäftigung mit dem Thema. So stellte Rousseau fest:

Einer so zahlreichen Körperschaft, wie es die Geistlichkeit der katholischen Kirche ist, das ehelose Leben aufzuerlegen, heißt nicht sowohl ihr verbieten, keine Weiber zu nehmen, als vielmehr ihr befehlen, sich mit den Weibern anderer zu behelfen.

Anders Søren Kierkegaard:

Der Unverheiratete kann im Geisteskampf mehr wagen als der Verheiratete.

» Die Entwicklung seit dem II. Vaticanum

 

Autor: Hanswilhelm Haefs

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