Father-Brown

 

Die Entwicklung im niederländischen Klerus

 

Abgesehen von Kirchenprovinzen, in denen die sozialen oder politischen Gegebenheiten den Klerus zur Rebellion gegen die Hierarchie führten (wie z. B. in Spanien oder in Lateinamerika), sind es mit Ausnahme der Niederlande vor allem Kirchenfürsten wie die deutschen Kardinäle Augustin Bea, Josef Frings und Julius Döpfner, Österreichs Kardinal Franz König oder Belgiens Kardinal Léon-Joseph Suenens gewesen, die - teils aus sich, teils veranlasst durch sogenannte progressive Theologen - schon während des II. Vaticanums, besonders aber seither das Unbehagen des Kirchenvolkes mit der Amtskirche zum Ausdruck brachten, es teilweise sogar erst durch ihre Formulierungen ins Bewusstsein des Kirchenvolkes hoben.

Dass es in den Niederlanden anders ist, liegt wesentlich an der sehr viel demokratischeren Struktur der kirchlichen Organisationen, so dass hier der ebenfalls zu den Progressiven zählende Utrechter Kardinal Bernardus Alfrink sich von Anfang an in einer anderen Lage sah. So beauftragten z. B. die niederländischen Bischöfe unter seinem Vorsitz frühzeitig das Höhere Katechetische Institut in Nijmwegen, im Sinne des II. Vaticanums einen neuen Katechismus, und zwar insbesondere für Erwachsene, zu erarbeiten. Die Arbeit erhielt am 1. März 1966 das Imprimatur Alfrinks und, obwohl der Vatikan gegen eine Reihe Passagen als gegen Häresien protestierte, 1969 auch das Imprimatur der deutschen Bischofskonferenz, nachdem bereits 1968 in Nijmwegen eine deutschsprachige Ausgabe erschienen war. Diesem Geist des niederländischen Episkopats entsprach es, als 1968 der Jesuit Jos Vrijburg von der Amsterdamer Studentenpfarrei St. Ignatius aus dem Orden ausschied und verlangte, ihm sowohl den Ehedispens als auch die Genehmigung zu seelsorgerischer Tätigkeit mit Ausnahme der Sakramentenspendung zu erteilen, und zwar dergestalt, dass hier bereits die vom niederländischen Reformklerus angestrebte Form des Teilzeitpriesters sichtbar wird.

Das veranlasste 70 Priester aus Amsterdam und Umgebung, sich zu einer Aktionsgruppe "Septuagint" (lat. septuaginta = 70; nach dem Bericht im Lukas-Evangelium, dass die 12 Apostel 70 Jünger um sich hatten) zusammenzuschließen. Diese Gruppe zählte zu Beginn der bedeutungsvollen Pastoralkonferenz im Januar 1970 rund 1.300 Mitglieder, von denen die meisten der Arbeiten ausgingen bzw. geleistet wurden, die in der Pastoralkonferenz und ihren Abstimmungsergebnissen gipfelten und den niederländischen Klerus zum Vorkämpfer in der Auseinandersetzung zwischen progressiven und konservativen Kräften, kristallisiert in der Zölibatsfrage, machten.

Aus der Septuagint entstand eine "Kommission über das Priestertum" des niederländischen Klerus, die bis September 1969 einen umfangreichen Vorlage-Entwurf für das nächste Pastoralkonzil (in seiner Art in der Welt einzigartig) erarbeitete, der im November 1969 auf einer Priesterkonferenz in Doorn beraten und bei Berücksichtigung einer Reihe kritischer Voten der bereits zuvor damit befassten Priester-, Diözesan- und Ordensräte in Empfehlungen an das Pastoralkonzil umgearbeitet wurde; das Resümee aus Vorlage und Empfehlungen ist der Vorlage folgend in 7 Kapitel gegliedert und klammert bewusst theologische Begründungen aus, um die pragmatischen Ansätze zur Problemlösung so deutlicher zu machen, und weil man angesichts der drängenden Gesamtproblematik die theologischen Argumentationen für wenig relevant erachtete. In den 7 Kapiteln des Resumés heißt es u. a.:

    I. Allgemeines:
    ...
     
    II. Glaubensbewusstsein:
    ...
     
    III. Fachausbildung:
    ...
    IV. Neue Formen des Priesteramtes, neue Menschen in diesem Amt:
    Im Anschluss an die gesamte kirchliche Tradition soll das Priesteramt eine pluriforme Gestalt annehmen können, innerhalb welcher der priesterliche Dienst seine eigene Berufung hinsichtlich des Menschen in der heutigen Gesellschaft verwirklichen kann.
  1. Es sind Entwicklungstrends feststellbar, die dahin zielen, dass der priesterliche Dienst teilzeitlich oder losgelöst vom Zölibat ausgeübt wird. Ebenso sind Entwicklungen im Gange, die dem Amt verschiedene äußere Formen geben, und zwar anders als nach der traditionellen Dreiteilung Bischof - Priester - Diakon (dabei denkt man an Seelsorgearbeiter, Katecheten, pastorale Gruppenarbeiter, Seelsorgeräte, kirchliche Aufbauarbeiter usw. ...)
    ...
  2. Es ist ratsam, die Frau so schnell wie möglich noch mehr in alle kirchlichen Aufgaben einzuschalten, in denen ihr Wirken wenig oder gar nicht problematisch ist. Die künftige Entwicklung muss sich dahin orientieren, dass sie alle kirchlichen Funktionen, die Leitung der Eucharistiefeier nicht ausgeschlossen, erfüllen kann.
    ...
    V. Gruppenbildung (Kader):
    ...
     
    VI. Das Arbeitsklima:
    ...
     
    VII. Probleme des Lebensstandes der Amtsträger:
    ...
     
  1. Das Pastoralkonzil erkennt den besonderen Wert der freiwilligen Ehelosigkeit des Amtsträgers um des Himmelreiches willen an. Es spricht die Hoffnung aus, dass durch eine offene Zeugenschaft innerhalb der christlichen Gemeinschaft immer Raum hierfür sein wird.
  2. Einen Einsatz für das Himmelreich kann man sowohl verheiratet als auch ehelos leisten. Es ist Sache jedes einzelnen Menschen, für sich selbst zu bestimmen, wie und wo sein Engagement am besten verwirklicht wird. In beiden Fällen müssen Wege zur vollen und ganzheitlichen persönlichen Verwirklichung gefunden werden.
  3. Die Verpflichtung zum Zölibat soll aufgehoben werden.
  4. Um den unnötigen, bewussten oder unbewussten Widerstand zu beseitigen, soll sowohl unter Laien als auch unter den Priestern intensiv die Aufmerksamkeit auf Information und Meinungsaustausch über die Zölibatsproblematik und das Problem gelenkt werden, dass immer mehr Priester ihr Amt zur Verfügung stellen.
  5. Hinsichtlich der bischöflichen Verantwortung wird gefordert:
    • a) dass positive Schritte unternommen werden, wobei man sich nicht vom Unabänderlichen leiten lässt, sondern nach Aufhebung des Zölibatsgesetzes strebt und hierfür Möglichkeiten ausfindig macht und innerhalb der derzeitigen Konstellation schafft;
    • b) dass von künftigen Priesteramts-kandidaten nicht mehr verlangt werden soll, ehelos zu bleiben;
    • c) dass grundsätzlich die Möglichkeit besteht, Verheiratete zum Priesteramt zuzulassen und innerhalb der eigenen Kirchenprovinz die Voraussetzungen hierfür zu schaffen;
    • d) dass Schritte unternommen werden, um die bischöfliche Kollegialität innerhalb der Weltkirche kraftvoller zu verwirklichen, damit die Erfordernisse rund um diese Problematik schnellstmöglich erfüllt werden ...
  6. Wenn Priester um Dispens vom Zölibat bitten, sollten sie grundsätzlich in allen seelsorglichen Aufgaben belassen werden, wobei folgendes zu beachten ist: - es geht noch immer um eine experimentelle Situation; - die Experimente selbst sollten im Einvernehmen mit den Betroffenen durchgeführt werden, nämlich mit den Gläubigen darüber, wie eine bestimmte Funktion zu verrichten sei, mit den Amtsbrüdern, die mit an der Verantwortung zu beteiligen sind, und mit dem Bischof, der ja die Anstellung vornimmt. - Es soll auch erwogen werden, ob die individuelle Lage des Amtsträgers dies wünschenswert erscheinen lässt. - Die Experimente sollen einer fortwährenden Prüfung unterzogen werden. - Zum Gelingen der Versuche ist Öffentlichkeit und volle Information notwendig...

Juni 1969: Aufgrund einer Initiative der niederländischen Bischöfe vom Januar 1967 hatte das Pastoralinstitut der Niederländischen Kirche (PINK) bereits 1968 durch das Institut voor Toegewaste Sociologie (ITS), Nijmegen, eine Enquête bei den niederländischen Priestern zur Zölibatsfrage durchführen lassen, deren Ergebnis in Nr. 6 der Reihe "De Kerk van morgen", "Amtscelibaat in een veranderende kerk. Resultaten van een onderzoek onder alle priesters, diakens en subdiakens in Nederland", Amersfoort 1969, veröffentlicht wurde. Der Fragebogen enthielt 39 meist noch weiter unterteilte Fragen und wurde an insgesamt 8.879 Welt- und Ordenspriester sowie Diakone, Subdiakone und Theologiestudenten verschickt. Die Antwortquote war 83 % (bei 1 % unbrauchbaren Rücksendungen). Vier Hauptfragekomplexe zum Thema Zölibat wurden vorgelegt:

  1. Meinungen hinsichtlich der Beibehaltung der Verpflichtung zum Amtszölibat bzw. der Entflechtung von Priesteramt und Zölibat;
  2. Haltung gegenüber dem Amtszölibat im allgemeinen;
  3. persönliche Einschätzung, d. h. die Bedeutung des Amtszölibats für das eigene Priesterleben;
  4. eine Reihe von Fragen, welche die vorherigen Aussagen detaillieren sollten.

Die Mehrheit der Befragten nimmt keinen radikalen Standpunkt ein: Eine uneingeschränkte Aufhebung der Zölibatsverpflichtung für alle Kleriker fordern 21 %, für die bedingungslose Beibehaltung des Amtszölibats sprachen sich 5 % der Befragten aus. 74 % detaillierten ihre Antworten, wobei eine Art Konsensus für eine bedingte Aufhebung bzw. bedingte Nichtaufhebung (argumentierend nach hierarchischem Rang, lokaler Gegebenheit, seelsorgerischem Bedürfnis spezieller Gemeinden oder Regionen usw.) des Amtszölibats bei der überwiegenden Mehrheit festzustellen ist.

» Das 5. niederländische Pastoralkonzil

 

Autor: Hanswilhelm Haefs

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