Die Klage des Marquis von Marne
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Über den Marquis von Marne kursieren die verrücktesten Gerüchte, seit er sich in sein Anwesen zurückgezogen hat und keine Besuche mehr empfängt. Als er sein Vermögen der Kirche vermachen will, ruft dies zahlreiche Neider auf den Plan ...
»Eigenartig«, sagte seine Frau traurig, »daß wir in ein Gewitter
geraten sind mit keinem anderen Haus in der Nähe als ausgerechnet
diesem.«
Etwas in ihrer Stimme ließ den jungen Mann, der zugleich
feinfühlig und verständnisvoll war, verstummen, aber nichts dergleichen
entmutigte den Mann aus Toronto.
»Was ist denn damit los?« fragte er. »Sieht eher wie eine Ruine
aus.«
»Das dort«, sagte der General trocken, »gehört dem Marquis
von Marne.«
»Oha!« sagte Sir John Cockspur. »Von diesem Vogel hab’ ich
schon so ziemlich alles gehört; und ein reichlich komischer Vogel
außerdem. Hab’ im vorigen Jahr im ›Comet‹ aus ihm das Geheimnis
einer Titelstory gemacht: ›Der Adelsherr, den Niemand
Kennt.‹ «
»Ja, ich habe auch von ihm gehört«, sagte der junge Mallow
mit leiser Stimme. »Es scheint alle möglichen unheimlichen Geschichten
darüber zu geben, warum er sich so versteckt. Ich habe
sogar gehört, daß er eine Maske trägt, weil er Lepra hat. Und jemand
anderes hat mir ganz ernsthaft erzählt, daß auf der Familie
ein Fluch liege; ein Kind sei mit einer schrecklichen Mißbildung
geboren worden, und man halte es in einem dunklen Zimmer.«
»Der Marquis von Marne hat drei Köpfe«, bemerkte Romaine
sehr feierlich. »Alle dreihundert Jahre einmal schmückt ein dreiköpfiger
Edelmann den Familienstammbaum. Kein menschliches
Wesen wagt es, sich dem verfluchten Haus zu nahen, mit Ausnahme
einer schweigenden Prozession von Hutmachern, die entsandt
wurde, eine abnorme Anzahl von Hüten heranzuschaffen.
Aber« – und seine Stimme nahm eine jener dunklen und schrecklichen
Tönungen an, die im Theater solche Schauer zu verursachen
vermögen – »meine Freunde, diese Hüte sind nicht von
menschlicher Gestalt.«
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Hörprobe (7:54) "Die Klage des Marquis von Marne" aus der Reihe "Father Brown - Das Original" Laden des Audioplayers ...
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Anmerkungen des Übersetzers Hanswilhelm Haefs
"Marquis"
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Im englischen Hochadel steht der Marquis (Marquess) nach dem Herzog (Duke) vor dem Grafen (Earl) an zweiter Stelle, ranggleich mit dem Fürsten der deutschen Adelsfolge (nach dem Herzog) und dem Herzog der romanischen Adelsfolge (nach dem Fürsten).
"zwischen Blitz und Donnerschlag"
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Für alle praktischen Zwecke von Landwirten und Picknickern wird der Blitz unmittelbar sichtbar, während der Donner 333 Meter pro Sekunde zurücklegt = 1.000 Meter in 3 Sekunden oder 30 Kilometer in 1½ Minuten.
"wie der Leichten Brigade verboten"
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Eine Anspielung auf jene legendäre Attacke der britischen Light Brigade (Einheit leichter Kavallerie) gegen die Festung Balaclava im Krim-Krieg 1853/56. Über den Wahnsinn des Einsatzes leichter Reiterei gegen eine mit Kanonen gespickte Festung dichtete Alfred Tennyson seine berühmte "Charge of the Light Brigade", in der es in der zweiten Strophe heißt:
Not though the soldier knew
Some one had blunder'd:
Theirs not to make reply,
Theirs not to reason why,
Theirs but to do and die:
Into the Valley of Death
Rode the six hundred.
Die Soldaten wussten es nicht,
aber jemand hatte einen Fehler begangen:
Nicht ihr Recht war es zu widersprechen,
Nicht ihr Recht, nach dem Warum zu fragen,
Ihrs nur, zu handeln und zu sterben:
In das Tal des Todes ritten die 600.
[von denen angeblich nur 3 überlebten, nachdem die Light Brigade gesiegt hatte]
Das Thema des unmöglichen und unsinnigen Einsatzes von Truppen zur Vertuschung der Dummheit, der Unfähigkeit oder noch schlimmerer Verbrechen von Vorgesetzten spielt in der Literatur sicherlich eine viel seltenere Rolle als in der Wirklichkeit: vgl. hierzu Das Zeichen des zerbrochenen Säbels.
"In memoriam"
"David und Jonathan"
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Eine weitere Geschichte über eine Männerfreundschaft, im AT nachzulesen (2. Sam. 1, 19 ff.); dem entspricht in den homerischen Epen die Freundschaft des Achill zu Patroklos, den Hektor tötete, was Achill endlich zum Kampf gegen Troja aufreizte und zur Tötung des Hektor führte, weshalb ihn Apoll durch den Paris vermittelst eines Pfeilschusses in die Achillessehne ebenfalls töten ließ.
"Kannibaleninsel"
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Die "Cannibal Islands" sind eigentlich die Karibischen Inseln. Das Wort "Kannibale/Cannibals" o. a. ist vom spanischen "canibales" abgeleitet, das wiederum aus "caribales" entstand und ursprünglich die Kariben bezeichnete, die von Spanien ausgemordeten Ureinwohner der Karibischen Inseln; die Selbstbezeichnung "caribe" bedeutete "die Tapferen, die Mutigen" und bezog sich ursprünglich nur auf die Kriegerkaste. Da die Kariben rituellen Verzehr von Menschenfleisch kannten und betrieben, wurde ihr Name zum Synonym für Menschenfresser. Umgangssprachlich auch Bezeichnung für ferne wilde Gegenden, etwa phantastische Südseeinseln usw.
"Lasst die Toten ihre Toten begraben"
NT, Lukas 9, 60.
"Katholikenfresser"
(im Original "Toronto Orangeman")
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In Erinnerung an Wilhelm von Oranien und seinen (protestantischen) Sieg über (den katholischen König von Schottland) Jakob bildete sich 1795 in Irland die ultraprotestantische Geheimgesellschaft der Orangemen; die Bezeichnung "Oranier" war seither einerseits ein Spottname für Anhänger der ultraprotestantischen Partei in Irland, und andererseits die Bezeichnung für "Katholikenfresser".
"Ältere Brüder und Schwestern"
Ältere Brüder und Schwestern widmen sich nach neueren Erkenntnissen tatsächlich öfters solchen Kindern, aus Gen-Egoismus, der ihren unbewussten Antrieb bildet.
"Golf"
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Ein bereits um 1100 in China unter dem Namen "chuiwan" schriftlich wie bildlich belegtes Spiel, dessen europäischer Name auf holländisches "kolf" = Keule zurückzuführen ist und das 1457 erstmals am Hofe Jakobs I. in Schottland erwähnt wird; es dürfte aus zentralasiatischen Reiterspielen entstanden und in der ausgebildeten chinesischen Form in der Folge des Mongolensturms nach Europa gelangt sein.
"Aceldama"
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Seit Luther im Deutschen "Hakeldama/ch": In der Apostelgeschichte 1, 19 heißt es "Hakeldamach ... das heißt Blutacker", nämlich jenes Feld, das sich Judas für die 30 Silberlinge gekauft hatte, jedoch darauf "stürzte er kopfüber, barst mitten entzwei, und alle seine Eingeweide traten heraus". Hingegen heißt es bei Matthäus XXVII, 5-8, Judas habe die 30 Silberlinge den Hohen Priestern vor die Füße geworfen, die davon den Töpferacker als Begräbnisplatz für die Fremden kauften, da es Blutgeld sei, das dem Tempelschatz nicht beigefügt werden dürfe, weshalb der Platz "Blutacker" heiße. Heute der Hak el-Dain im Süden von Jerusalem, am NO-Hang des Djebel Deir Abu Tor = Hügel des bösen Ratschlags, seit dem 6. Jahrhundert bis mindestens 1697 Friedhof dort gestorbener christlicher Pilger und Kreuzfahrer.
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