Der Dorfvampir
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Ein Schauspieler wurde In Potter's Pond von den Dörflern erschlagen. Hinter der offensichtlichen Tat verbirgt sich jedoch ein heimtückischer Giftmord. Jahre später soll die Leiche exhumiert werden. Father Brown wird um Hilfe bei der Aufklärung gebeten ...
Der kleine Priester saß
ihm gegenüber mit der Miene eines geduldigen Kleinkindes, das
Anweisungen aufnimmt; und der Doktor erklärte ausführlich die
wirklichen Gründe für diese Reise.
»Ich kann mit dem Herrn im Magentamantel nicht übereinstimmen,
daß Potter’s Pond nur ein mieses kleines Kaff sei. Aber
es ist gewißlich ein sehr abgelegenes und abgeschiedenes Dorf; so
daß es reichlich fremdartig wirkt, wie ein Dorf von vor hundert
Jahren. Die alten Jungfern sind wirklich alte Jungfern – verdammt,
man kann sie sich fast am Spinnrad vorstellen. Die
Damen sind nicht nur Damen. Sie sind Edelfrauen; und ihr Drogist
ist kein Drogist, sondern ein Apotheker, ausgesprochen Poteka.
Sie lassen die Existenz eines gewöhnlichen Arztes, wie ich es
bin, gerade mal zu, damit er dem Apotheker assistiere. Doch
werde ich als eine ziemlich jugendliche Neuerung betrachtet, weil
ich erst siebenundfünfzig bin und erst seit achtundzwanzig Jahren
in der Grafschaft lebe. Der Rechtsanwalt sieht aus, als kennte
er sie schon seit achtundzwanzigtausend Jahren. Dann gibt es da
den alten Admiral, der wie eine Illustration zu Dickens ist; mit
einem Haus voller Entermesser und Tintenfischen und ausgestattet
mit einem Teleskop.«
»Ich nehme an«, sagte Father Brown, »daß es immer eine bestimmte
Anzahl von Admirälen gibt, die am Ufer angeschwemmt
werden. Aber ich habe nie verstanden, warum sie so weit im
Binnenland stranden.«
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Hörprobe (4:01) "Der Dorfvampir" aus der Reihe "Father Brown - Das Original" Laden des Audioplayers ...
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Anmerkungen des Übersetzers Hanswilhelm Haefs
"The Grange"
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Etwa: der Landsitz, das Landhaus.
"mieses kleines Kaff"
Im Original "a wretched little hamlet".
"die Totenschau"
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Im angelsächsischen Recht gibt es das Rechtsinstitut des Inquests, bei dem vor einem entsprechend befugten Beamten oder ehrenamtlichen Richter im Falle eines unnatürlichen Todes die Polizei alle ermittelten Tatsachen vorzutragen hat, worauf der Vorsitzende des Inquests, gegebenenfalls unter Assistenz von Geschworenen, beschließt, ob es sich um einen Unfall oder um ein zu verfolgendes Verbrechen handelt.
"alte Jungfern ... am Spinnrad"
"Kirchenmann"
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Der "clergyman" des Originals bedeutet geistlicher Herr, Geistlicher, ordinierter Geistlicher: Um des deutlicheren Unterschiedes zum Priester Father Brown willen wurde der Ausdruck Kirchenmann belassen.
"Tory"
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Ein Tory war ursprünglich ein Anhänger der konservativlegitimistischen Partei, die für die Rechte Jakobs I. eintrat (in Nordamerika während der Unabhängigkeitskriege ein Anhänger Englands bzw. der Krone, in Irland ein royalistischer Bandit), heute ist er ein Konservativer (mit Schwankungen bis zum Ultrakonservativen oder gar Reaktionär).
"Hochkirche"
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Die Hochkirche (High Church) ist jener Teil der anglikanischen Kirche, der Church of England, der die Meinung vertritt, der Autorität und den Forderungen von Episkopat und Priesterschaft sei ein hoher Rang einzuräumen, ebenso der errettenden Gnade der Sakramente und ganz allgemein all jenen Punkten der Doktrin, der Disziplin und des Rituals, durch die sich die anglikanische Kirche von den kalvinistischen und den protestantischen nonkonformistischen oder Freikirchen unterscheidet; im Gegensatz dazu räumt die Niederkirche oder Low Church all dem wenig oder gar keine Bedeutung ein und steht somit den protestantischen Freikirchen sehr viel näher.
"Erzbischof Laud"
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William Laud (1573-1645) war Hochkirchenmann, vertrat allerdings gegenüber der katholischen Kirche sehr gemäßigte Ansichten: Sie sei zwar nicht die, wohl aber eine wahre Kirche; er setzte sich energisch für die Förderung orthodoxer und die Unterdrückung puritanischer Geistlicher ein, stand immer auf der Seite des jeweiligen Königs, wurde 1626 Bischof von Bath und Wells, 1628 Bischof von London und 1629 zusätzlich Kanzler der Universität Oxford; er gilt als einer der bedeutendsten Kanzler dieser Universität, die ihm durch seine Reformen immens viel zu verdanken hat: zahlreiche neue Lehrstühle (u. a. für Hebräisch und Arabisch), die Gründung der Oxford University Press, über 1 300 Handschriften für die Bodleian-Bibliothek usw.; die Zahl der Studenten nahm unter ihm geradezu dramatisch zu; als nahezu allmächtiger Staatsmann - seit 1633 Erzbischof von Canterbury - ist er hingegen weniger zu rühmen, da er als Politiker die Weisheit vermissen ließ, die den Kanzler von Oxford in den Wissenschaften auszeichnete; da nach seiner Ansicht eine wahre Kirche ohne Bischöfe unmöglich ist und er versuchte, seine Ansichten vor allem auch in Schottland und Irland mit Staatsgewalt durchzusetzen, verursachte er immer wieder schwere innenpolitische Krisen; wo immer er an Gerichtsurteilen mitzuwirken hatte, zeichnete er sich durch exzeptionelle Grausamkeit aus; sein Extremismus brachte den König dazu, ihn 1640 nach und nach zu entmachten, im Dezember wurde er vom Langen Parlament einem Impeachment-Verfahren wegen Amtsmissbrauch unterworfen, in Haft gesetzt und wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, wobei das Urteil eine reine politische Fiktion war; das Parlament setzte sich über einen Gnadenerlass des Königs hinweg, der Laud mühsam wenigstens den Tod durch die Axt statt der üblichen brutalen Abschlachtung für Hochverrat verschaffen konnte; sein enger Materialismus gilt als die Ursache seines fatalen Einflusses auf die Politik und das Denken seiner Zeit.
"fast schon an einen Wilderer grenzt"
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Eine bemerkenswerte Behauptung G. K. Chestertons, da in Wirklichkeit ein Wilderer nicht der unterste in der Rangordnung ländlichen Ansehens ist, sondern einer der obersten unter den Unordentlichen.
"The Grove"
"prima facie"
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Begriff aus dem Latein der Juristen = nach dem ersten Anschein, hier also etwa: offensichtlicher, auf den ersten Blick erkennbarer Beweis.
"Dunkle Dame, in der Art der Sonette"
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Gemeint ist die Dark Lady, der Shakespeare nach einer Vorankündigung in den Sonetten 40-42 die Sequenz der Sonette 127-152 widmete (vielerlei Anspielungen unserer Geschichte lassen die Vermutung aufkeimen, dass möglicherweise die Frage nach der Dark Lady der Sonette Chesterton den Gedanken zu dieser Geschichte eingegeben hat, die dann zugleich eine Art Ehrenrettung eben jener Dark Lady sein könnte).
"Tubal ... Shylock ... Fortinbras ... Polonius"
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Gestalten aus Shakespeares Kaufmann aus Venedig und Hamlet, Prinz von Dänemark: Tubal ist ein Freund und Berufskollege Shylocks, den er mit guten wie schlechten Nachrichten versorgt; über Shylock braucht hier nichts bemerkt zu werden; Fortinbras gibt es zweimal: den Älteren, der am Tage der Geburt Hamlets von Hamlets Vater erschlagen wird, und seinen Sohn, der immer wieder Heere sammelt, um in wilden Unternehmungen die verlorenen Ländereien seiner Familie zurückzugewinnen; Polonius schließlich ist der Oberste Kammerherr am dänischen Hof, Vater von Laertes und Ophelia und Produzent zahlreicher besonders erhabener Sentenzen.
Wikipedia-Artikel: William Shakespeare
"recherché"
frz. = ausgewählt, erlesen usw.
"Du wärst ein miserabler kleiner Hamlet"
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Auf dem Wortspiel Hamlet = Weiler, Kaff (siehe vorstehende Anmerkungen) und Hamlet = Prinz von Dänemark beruht dieser ganze Zug der Argumentation; ein Wortspiel, das im Deutschen nicht nachzuahmen und im Englischen nur durch den Unterschied zwischen Klein- und Großschreibung darzustellen ist: "You'd be a miserable little Hamlet".
"post mortem"
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Begriff aus dem Latein der Juristen = nach dem Tode (vorzunehmende Untersuchung der Leiche = Autopsie).
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